Autopsie

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Präsident John F. Kennedy wurde am 22. November 1963 um 13:00 Uhr Ortszeit im Parkland Memorial Hospital von Dallas für tot erklärt. Die Ärzte hatten fast dreißig Minuten lang vergeblich versucht, den Blutverlust durch die große Kopfwunde einzudämmen und gleichzeitig Atmung und Kreislauf wieder zu stabilisieren. Unmittelbar nach dem Ableben des Präsidenten wurden vor Ort sämtliche Maßnahmen zur weiteren Behandlung eingestellt, da sich die Ärzte hierfür nicht als zuständig ansahen.

Es wurde umgehend ein Sarg beschafft und die Leiche für die Überführung nach Washington vorbereitet, als zwei Beamte der Polizei von Dallas erschienen. Sie wiesen ausdrücklich darauf hin, dass die Leiche nach texanischem Recht nicht vor der Durchführung einer Autopsie den Bundesstaat verlassen dürfe. Es folgte eine unwürdige "Rangelei" auf den Fluren des Krankenhauses. Mittendrin der Sarg des Präsidenten und die trauernde Witwe.

Dieser Moment muss als eine Schlüsselszene in der ganzen Thematik um mögliche Verschwörungen angesehen werden. Das Begehren der Mitarbeiter des Secret Service und der Männer aus dem Stab des Präsidenten nach einer raschen Rückkehr in die Hauptstadt ist nachvollziehbar, darf aber geltendes Recht nicht außer Kraft setzen. Die Argumentation des Secret Service, dass sie für den Präsidenten zuständig seien, kann hier nicht gelten. Der amtierende Präsident war mit dem Ableben von John F. Kennedy – spätestens aber mit der Vereidigung seines Nachfolgers – kein anderer als Lyndon B. Johnson. Auch die Vereidigung fand noch auf texanischem Boden statt. Und obwohl das texanische Recht ohnehin diesbezüglich keine Unterschiede macht, war spätestens jetzt der Secret Service nicht mehr zuständig. Die überhastete Überführung muss daher als klarer Rechtsbruch bewertet werden. Folgen waren wilde Spekulationen, die durch Unstimmigkeiten und Missverständnisse zwischen dem Parkland Hospital in Dallas und dem National Naval Medical Center in Bethesda noch verstärkt wurden. Die Polizei von Dallas hätte sich an dieser Stelle unbedingt durchsetzen müssen. Dann währen wohl viele dieser Spekulationen, die als Grundlage für Verschwörungstheorien dienen, vermieden worden.

Um 17:58 Uhr Ortszeit landete Air Force One auf der Andrews Air Force Base vor den Toren der Hauptstadt. Der Sarg des Präsidenten wurde auf Wunsch seiner Witwe zum National Naval Medical Center in Bethesda gebracht, wo unmittelbar mit der Autopsie begonnen wurde.

Hierzu der leitende Pathologe James Joseph Humes:

"Die Einschusswunde hatte elliptische Form, 15 Millimeter lang, 6 Millimeter weit, und befand sich 2,5 Zentimeter rechts sowie leicht oberhalb des äußeren Knochenvorsprungs am Hinterhauptbein. Die Innenseite des Schädels zeigte den charakteristischen Kratereffekt einer Kugel, die Knochengewebe durchschlagen hat. Röntgenaufnahmen enthüllten feine, staubartige Metallpartikel an den Stellen, wo das Geschoss den Kopf von hinten nach vorn durchquerte, bevor es in der rechten Schläfen-Scheitel-Region eine explosionsartige Ausschusswunde hervorrief. […] Die explodierende Kugel und die klaffende, gezackte Wunde, die sie hervorrief - 13 Zentimeter Schädelknochen und Haut waren weggesprengt -, hatten den Kopf so sehr zerstört, daß wir nicht einmal eine Säge brauchten, um die Schädeldecke zu entfernen. Wir zogen die Kopfhaut zurück, und die Oberdecke des Schädels zerfiel in meiner Hand entlang von Bruchlinien, die sich in alle Richtungen ausgebreitet hatten."

Mit den abgesprengten Teilen der Schädeldecke, welche im Fahrzeug und auf der Elm Street vom Secret Service eingesammelt und den Ärzten übergeben wurden, konnte etwa 75% der Lücke wieder rekonstruiert werden. Daraus ergab sich ein glatter Einschuss auf der Außenseite des Hinterkopfs, Kratereffekt im Schädelinneren, glatte Öffnung auf der gegenüberliegenden Seite, Kratereffekt auf der äußeren vorderen Kopfseite - die Kugel, die Präsident John F. Kennedy tötete, muss von hinten und von oben gekommen sein. Hierzu Dr. Humes:

"Das charakteristische Muster eines solchen Kopfdurchschusses ist "in 100 von 100 Fällen" zu beobachten. Das ist ein physikalisches Gesetz und steht als solches auch für Narren nicht zur Disposition. Es zeugt von höchster Ignoranz, irgendein anderes Szenario zu vertreten."

Die damaligen Ärzte aus dem Parkland Memorial Hospital von Dallas, die 25 Minuten lang versuchten, Kennedys Leben zu retten, sowie der Navy-Pathologe James Humes und sein Kollege Thornton Boswell, glaubten nicht, oder später nicht mehr, an eine Verschwörungstheorie. Kurz nach dem Attentat hatten mehrere Parkland-Ärzte noch nicht ausschließen wollen, daß zumindest ein Schuss von vorn gekommen war. Die meisten änderten ihre Meinung allerdings nach der Veröffentlichung des Autopsieberichts ihrer Kollegen aus Bethesda.

1992 veröffentlichte Dr. Charles Crenshaw, auch er Mitglied des Notaufnahme-Teams im Parkland-Hospital, seine Version, in der er daran festhält, dass die Schüsse von vorn gekommen sind. Er glaubt, Kennedys Wunden seien verändert worden, um die Einschussrichtung zu verschleiern - seiner Meinung nach von den Pathologen des Marinekrankenhauses in Bethesda. So behauptet Crenshaw, die Halswunde des Präsidenten sei erweitert worden, um eine Austrittswunde vorzutäuschen. Die offiziellen Obduktionsfotos hätten ihm sogar Gewissheit gebracht:

"Der Einschnitt in der Luftröhre war vergrößert und entstellt worden, als ob jemand noch einen Eingriff durchgeführt habe. Es sah aus wie das Werk eines Schlachters. Kein Zweifel, irgend jemand hatte große Mühe auf sich genommen, um etwas anderes sichtbar zu machen als das, was wir in Parkland gesehen haben."

Die Ärzte, die den Luftröhrenschnitt durchgeführt haben, können sich dagegen nicht einmal daran erinnern, Crenshaw überhaupt im Notaufnahmeraum gesehen zu haben. Sie hatten überdies gar keine Zeit für forensische Theorien. Dr. Jim Carrico: "Wir haben versucht, ein Leben zu retten, und uns nicht um Ein- und Ausschusswunden gekümmert."

Im Gegensatz zu ihrem Parkland-Kollegen, der seine Erinnerungen mit der Hilfe zweier Verschwörungsanhänger verfasst hat, konnten die anderen Ärzte später auf den Obduktionsfotos nichts entdecken, was nicht durch ihren Eingriff erklärbar gewesen wäre. So meinte Dr. Perry: "Jede Behauptung, diese Wunde sei vorsätzlich vergrößert worden, ist falsch."

Auch Dr. "Pepper" Jenkins, langjähriger Chef der Anästhesie im Parkland-Hospital, glaubt, dass Crenshaws Behauptungen "schlicht unzutreffend" sind. Er ist überzeugt, dass die anderen Ärzte gar keinen gründlichen Blick auf die tödliche Schädelwunde werfen konnten: "Ich stand direkt vor seinem Kopf und befand mich auf diese Weise in der günstigsten Position für die künstliche Beatmung. Blut ergoss sich auf meine Jacke und meine Schuhe."

Natürlich ist bei der ärztlichen Notversorgung und bei der Autopsie nicht alles nach Lehrbuch abgelaufen. Das gravierendste Versäumnis: Die Pathologen hatten sich vor der Autopsie nicht im Parkland-Hospital erkundigt, was dort mit dem Präsidenten geschehen war. So konnten die Ärzte wegen des Luftröhrenschnitts zunächst nicht die Austrittswunde für die Kugel finden, die Kennedys Hals durchschlagen hatte - Anlass für die abenteuerlichsten Spekulationen in den nächsten Jahrzehnten. Weil Humes und seine beiden Kollegen die Obduktion unter Zeitdruck beendeten, ohne diese Kugel im Körper des Ermordeten zu finden und ohne die Halsmuskeln zu sezieren, ist immer wieder behauptet worden, die Autopsie sei auf höheren Befehl hin abgebrochen worden. Im Film "JFK – Tatort Dallas" ist dies eine ganz besonders düstere Szene. Doch genaugenommen waren weitere Untersuchungen unnötig: Die Frage nach der Ausschusswunde klärte sich bereits am nächsten Tag, als Dr. Perry seinen Kollegen in Bethesda über den Luftröhrenschnitt unterrichtete. Zudem handelte es sich bei dem Halsdurchschuss nicht um die tödliche Wunde. Eine weitere Sektion der Muskeln hätte allerdings viele Spekulationen vermieden, welche sich um die nicht endgültig gesicherte Geschossbahn ranken.

Humes versichert, daß sich während der Operation kein hochrangiger Militär im Autopsie-Saal befand, nachdem der Leibarzt des Präsidenten, Admiral George Burkley, zu Beginn der Obduktion den Raum verlassen hatte, um mit Jackie und Robert Kennedy auf das Ergebnis zu warten. Der Pathologe später: "Ich hatte die Verantwortung für die Autopsie, und niemand hat versucht, mir hereinzureden. Punktum."

Darüber hinaus bestätigte sich bei einer Überprüfung des Obduktionsberichts aus dem Bethesda Naval Hospital durch den "Clark-Ausschuss", dem alle Photos und Röntgenaufnahmen vorlagen, 1968 die Ergebnisse des Warren-Berichts voll und ganz. Die angeblich gefälschten Röntgenaufnahmen und Fotografien der Autopsie im Bethesda Naval Hospital wurden von einem Röntgentechniker im November 1966 in den National Archives geprüft und als genau die Bilder erkannt, die er drei Jahre zuvor angefertigt hatte. Sie bestätigen, dass Kennedy von Schüssen getroffen wurde, die von hinten kamen.

Es sind seither auch keine Beweise verschwunden, wie immer wieder behauptet wurde. Bis auf das Gehirn des toten Präsidenten, das Admiral Burkley tags darauf der Familie Kennedy übergeben hat, befinden sich alle Autopsieunterlagen vollständig im Washingtoner Nationalarchiv. Man geht heute davon aus, dass das inzwischen fehlende Gehirn im Zuge der Umbaumaßnahmen an der Grabstätte im März 1967 und der damit verbundenen Umbettung des Präsidenten von seinem Bruder Robert dem Grab mit beigefügt wurde. ♦


Persönliche Homepage des
Kennedy-Sammlers

Peter W. Klages